Grünen Woche 2024
Unter dem Eindruck der Bauernproteste der vergangenen Wochen in Deutschland hat die Grüne Woche 2024 in Berlin begonnen. Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir eröffnete die größte Branchenmesse der Welt bei der offiziellen Eröffnungsfeier. Landwirtschaftsverbände und Ernährungsindustrie rief er dazu auf, mit der Politik ins Gespräch zu kommen, um Probleme des Sektors gemeinsam zu lösen und dabei die unterschiedlichen Interessen miteinander auszuhandeln.
„Wir müssen unser Land in der Mitte zusammenhalten“
Er habe „sehr viel Verständnis für den Zorn unserer Landwirtinnen und Landwirte“, entgegnete Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir. Die Streichung der Kfz-Steuerbefreiung und die Streichung des Agrardiesels seien in ihrer ursprünglichen Form „nicht OK“ gewesen und korrigiert worden. Dass es trotzdem noch Proteste gebe, zeige, dass der Agrardiesel „eine Metapher geworden ist für ein Fass, das bereits voll war, als ich Minister wurde“. Es sei jetzt an der Zeit, über die Themen zu reden, „die über Jahre versäumt worden sind“.
Nach den Vorschlägen der Borchert-Kommission führe die Bundesregierung nun ein staatliches verbindliches Tierhaltungskennzeichen ein, ergänzte Özdemir. Um deutsche Landwirte gegenüber der ausländischen Konkurrenz zu stärken, werde im Februar zudem das Herkunftszeichen für unverpacktes Fleisch eingeführt, das später ausgedehnt werde auf die Gastronomie. Die Regierung habe eine Milliarde Euro für mehr Tierschutz in der Schweinehaltung mobilisiert, und er plädiere für den Tierwohl-Cent. Wenn die Currywurst dann einige Cent mehr kosten würde, wäre das gut angelegtes Geld, so Özdemir.
Landwirtschaft zukunftsfest machen
Es gehe darum, die Landwirtschaft zukunftsfest zu machen, die ländlichen Räume zu stärken und so die Demokratie schützen, sagte der Minister weiter. Seine Bitte sei, dass alle die offenen Baustellen gemeinsam angehen und einen Beitrag dazu leisten, „dass wir unser Land in der Mitte zusammenhalten“. Die Menschen auf dem Land dürften nicht das Gefühl bekommen, dass sie unter die Räder kommen. Aber auch die andere Seite dürfe keine Ressentiments gegen die Menschen in der Stadt schüren – „da liegt kein Segen drauf“. Land und Stadt brauchten einander und hätten mehr Verbindendes als Trennendes.
Messe mit großer gesellschaftlicher Relevanz
Die Grüne Woche habe noch nie so hohe gesellschaftliche Relevanz gehabt, sagte Dr. Mario Tobias, CEO und Vorsitzender der Geschäftsführung der Messe Berlin. Die Verbindung aus einer Ausstellung von allem, was neu und modern ist, einerseits und politischen Debatten in den Konferenzen andererseits sei weltweit einzigartig – und notwendig. „Dass wir beides brauchen – den direkten Kontakt der Ausstellenden mit ihren Kundinnen und Kunden und den Austausch der Erzeuger mit der Politik – sehen wir jeden Tag in den Nachrichten.“ Es gehe um die Bedeutung der Branche in der Zukunft. „Wir freuen uns, dass die Grüne Woche gerade recht kommt, um diese Debatten von der Straße zu holen.“
„Herausforderungen im Miteinander lösen“
Die Grüne Woche habe sich in ihrer fast 100-jährigen Geschichte immer neuen Themen gestellt und immer auch wie ein Spiegel der aktuellen Gesellschaft und ihrer Debatten gewirkt, sagte der Regierende Bürgermeister von Berlin, Kai Wegner. Die Zeiten seien spannend und herausfordernd. „Wo Landwirte Existenzängste haben, müssen wir ins Gespräch kommen“, betonte er. Dabei sei es wichtig, einander zuzuhören und aufeinander zuzugehen, „damit wir die Herausforderungen nicht im Gegeneinander, sondern im Miteinander lösen“ und alle Seiten am Ende profitieren könnten: Landwirte, Politik, Verbraucherinnen und Verbraucher.
Miteinander der Interessengruppen ist nötig
Für ein Miteinander der Interessengruppen, um die Zukunft der Landwirtschaft in der EU zu sichern, plädierte auch Janusz Wojciechowski, EU-Kommissar für Landwirtschaft und ländliche Entwicklung. Die Finanzierung der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) der EU solle auch über 2027 hinaus fortgesetzt werden. Die Landwirtschaft stehe derzeit vor großen Herausforderungen: Der Hunger weltweit wachse, in der EU kletterten die Lebensmittelpreise zuletzt auf Rekordhöhe, während die Einnahmen der Landwirte im vergangenen Jahr um fast acht Prozent zurückgingen. Zugleich mache der Klimawandel der Landwirtschaft mit zunehmenden Wetterextremen wie Überschwemmungen, Dürrephasen und Waldbränden zu schaffen. Wichtig sei deshalb, finanzielle Anreize für Methoden zu setzen, die dem Klima und der Umwelt zugutekommen und zugleich die Produktivität der Landwirtschaft sichern.
Bauernpräsident mahnt „Politik muss wieder näher an die Menschen ran“
Joachim Rukwied, Präsident des Deutschen Bauernverbands, und Dr. Christian von Boetticher, Vorstandsvorsitzender der Bundesvereinigung der Deutschen Ernährungsindustrie (BVE), nutzten die Bühne für Attacken auf die Bundesregierung. Die Bauernproteste hätten in der Bevölkerung große Unterstützung erfahren – trotz der Behinderungen, die sie ausgelöst hätten, sagte Rukwied. Er glaube, die Menschen hätten den Eindruck, „dass man eher über sie hinweg regiert und nicht mit ihnen spricht“, so der Bauernpräsident. „Die Politik muss wieder näher an die Menschen ran.“ Die Menschen brauchten Perspektiven und die Landwirtschaft „mehr unternehmerische Freiheit, mehr Luft zum Atmen, besseren Zugang zu Innovationen“, und sie müsse weniger eingeschränkt werden. Stattdessen schlage die Politik den Bürgern über den Ernährungsrat vor, wieviel Gemüse oder Fisch sie essen sollten. Das widerlaufe der Freiheit der Entscheidung: „Essen ist Genuss, jeder Mensch soll essen, worauf er Lust hat.“
Ernährungsindustrie und Zero-Hunger
Auch BVE-Vorstandschef Christian von Boetticher forderte mehr Freiheit und weniger Regularien. Nicht nur für die Landwirtschaft sei dies eine schwierige Zeit, auch die Ernährungsindustrie sei betroffen, ihr ergehe es wie dem Mittelstand: „Der stirbt nicht laut, der stirbt leise“. 2022 habe es Rückgänge in den Umsätzen gegeben, und „eine Vielzahl von Unternehmen“ investierten nicht mehr in Deutschland, sondern verlagerten ihre Standorte stärker ins Ausland. Er sei deshalb dankbar, dass das Global Forum for Food and Agriculture (GFFA) auf der Grünen Woche in diesem Jahr das Thema „Zero Hunger“ zum Motto habe. „In Deutschland haben wir uns zu oft in einer kleinen Blase unterhalten.“ Hierzulande werde diskutiert, wieviel landwirtschaftliche Flächen es noch brauche und ob Flächen vernässt werden sollten. Stattdessen müsse die globale Hungerbekämpfung stärker „in die deutsche Tagespolitik“ einbezogen werden.
Foto: Messe Berlin