„Man muss nicht jede Mode mitmachen“

„Man muss nicht jede Mode mitmachen“

Feiern 175 Jahre Bäckerei Borchers: Marion, Klaus und Philip Borchers mit Charlotte Hesse.
Fotos (2): www.wimakom.de


Die Spezialitätenbäckerei Borchers in Hannover ist in diesen Tagen 175 Jahre alt geworden. Mit fünf Standorten und 50 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern geht es durch das Jubiläumsjahr. Was ist das Geheimnis hinter dem Erfolg? Wo geht die Reise hin? Ein Treffen mit Klaus Borchers.

Klaus Borchers geht mit schnellem Schritt über die Straße. Er kommt aus einer Filiale direkt zum Gespräch in seinen Stammsitz. Er musste einspringen, weil eine Verkäuferin ausgefallen war. Auch die Bäckerei Borchers kämpft aktuell mit zu wenig Personal. „Es geht gerade so auf, da darf aber niemand ungeplant ausfallen“, sagt Borchers. 

Das kenne sein Unternehmen sonst nicht. Viele der rund 50 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind schon lange im Unternehmen. 15, 20, 25 Jahre. Sie sind wie eine Familie und stolz auf das Unternehmen. Das hat sich gerade beim Tag der offenen Tür gezeigt: „Unser Ofenmann redet sonst nicht viel. Beim Tag der offenen Tür hat er mit einer Freude von seiner Arbeit erzählt, dass wir alle staunten.“ Borchers und seine Frau Marion fördern die Loyalität: Wenn mal eine Heizung oder ein Auto unverhofft kaputt gehen, unterstützen sie die Mitarbeiter. Trotz zusätzlicher Sozialleistungen und übertariflicher Bezahlung ist es schwer, Ersatz zu finden, wenn doch mal jemand ausscheidet.

Zumindest um eine Sache müssen sich Klaus Borchers und seine Frau Marion Borchers keine Gedanken machen: Die Bäckerei bleibt auch in der sechsten Generation in der Familie. Sohn Philip hat sich schon früh entschieden, die Bäckertradition fortzusetzen: „Das ist einfach nur schön“ sagt Klaus Borchers. „Aber wenn er sich zu etwas anderem entschlossen hätte, wäre das auch okay gewesen. Es ist ja sein Leben.“ 

Regelmäßig den Betrieb auf den Prüfstand stellen
Was ist – neben der Familie – das Geheimnis hinter dem Erfolg der Spezialitätenbackerei Borchers? „Sie müssen regelmäßig Ihren Betrieb auf den Prüfstand stellen“, sagt Borchers. „Stimmen die Zahlen? Stimmen die Produkte? Wir haben jahrelang den Konditoreibereich gepflegt. Zeitweise arbeiteten da fünf Mitarbeiter, weil es so viele Sonderwünsche der Kunden gab. Das hat sich kaum gerechnet und war sehr komplex. Heute beschäftigen wir noch einen Konditor. Wir haben uns in den letzten Jahren mehr auf Brot spezialisiert. Das ist unsere Kompetenz, darüber profilieren wir uns. Und betriebswirtschaftlich ist es auch interessanter.“ 

Der Brotsommelier Borchers macht Brot erlebbar: Er bietet Brot-Workshops an (https://www.so-geht-brot.de), informiert seine Kunden mit einer aufwändigen Broschüre, dem Genuss-Guide für Brotliebhaber, und ist immer wieder auch im Laden – nicht nur, wenn eine Verkäuferin ausfällt. „Ich habe bei der Brotsommelier-Ausbildung noch viel über Brot gelernt, vor allem wie man es besser vermarktet. Das kommt auch bei den Kunden gut an und unterstreicht unsere Kompetenz.“

So sank der Anteil von Kuchen und Torten am Umsatz in den letzten Jahren von zeitweise 45 Prozent auf heute deutlich unter 30 Prozent. Als nächstes will sich Borchers das Snacksortiment ansehen. Aufwändig, viele Retouren. Gut möglich, dass auch Snacks deutlich eingeschränkt oder ganz aus dem Sortiment genommen werden. Bei Josef Hinkel und seiner Bäckerei der Brotfreunde geht es ja auch ohne.

Brot bringt Verkäuferinnen und Kunden ins Gespräch
Sich aufs Brot zu konzentrieren habe weitere Vorteile, sagt Borchers: Die Zutaten sind fast alle regional. Und Regionalität sei gefragt. Für die Verkäuferin sei es einfacher über das Brot mit den Kunden ins Gespräch zu kommen und die Kompetenz der Spezialitätenbäckerei Borchers zu vermitteln. Zwischen 30 und 35 Brotsorten umfasst das Sortiment, angeboten werden täglich um die 20. Wobei weizenbetonte Brote immer stärker gefragt werden: Pane di Varese, Pain au Levain, französisches Baguette. Aushängeschilder sind das Pane Maggiore, ein Weizenbrot mit original Schweizer Ruchmehl, und die Roggenkruste, die mit 12 Kilo sicherlich Hannovers größtes Brot ist (siehe Foto oben). 

Überhaupt sollten die Bäcker mehr Selbstbewusstsein haben, wenn es um ihr Sortiment geht: „Man muss nicht jede Mode mitmachen“, sagt Borchers. Brote mit Chia-Samen habe er noch nie im Sortiment gehabt und kein Kunde habe das vermisst. Mit der steigenden Nachfrage nach veganen Produkten geht er locker um: „Unser ganzes Brotsortiment ist vegan. Da sind selbst die wenigen Kunden, die danach fragen, oft überrascht. Und zwei oder drei vegane Kuchen haben wir auch. Aber in unserer Kundschaft ist das kein großes Thema.“

Regelmäßige Investitionen machen Betrieb interessant
Was ist sonst noch wichtig, um 175 Jahre am Markt zu bestehen? „Sie müssen regelmäßig in den Betrieb investieren, damit er auch für einen externen Käufer interessant sein könnte“, sagt Borchers. Und so wird Philip Borchers, der sich schon als Schüler Praktika bei Bäckereien in Hannover gesucht hat, eines Tages ein gut aufgestelltes Unternehmen übernehmen und es weiterführen. Unterstützung hat er schon: Seine Lebenspartnerin Charlotte Hesse kommt aus der Hotelbranche und ist seit Anfang des Jahres im Laden aktiv. „Ihr unvoreingenommener Blick hat uns schon zu einigen Änderungen bewogen“, sagt Borchers senior. Da ist sie wieder, die Bereitschaft etwas zu verändern, damit das Unternehmen erfolgreich bleibt. Wie seit 175 Jahren.


Meilensteine der Bäckerei Borchers

1847: Johann Heinrich Borchers und Ehefrau Ernestine Henriette Sophie gründen die Bäckerei Borchers in Grasdorf, einem kleinen Ort vor den Toren Hannovers.

1883: Georg Ludwig Friedrich Borchers verlegt den elterlichen Betrieb nach Hannover in die Marktstraße No. 28 (Foto)

Die Bäckerei Borchers im Jahr 1883 an der Marktstraße in Hannover.

1921: Hermann Gustav Heinrich August Borchers übernimmt die Bäckerei und legt als Konditor den Grundstein für die Herstellung feiner Backwaren. Seine Hitjepuppen – Althannoversche Zuckerbilder, die noch heute zu Weihnachten gefragt sind– machen den Betrieb über Hannover hinaus bekannt.

1954: Hermann und Gertrud Borchers legen den Grundstein für die heutige Bäckerei in der Hildesheimer Straße 44 in Hannover.

1960: Georg Hubert Hans Hermann Borchers und Anneliese Emma Beyermann übernehmen den Betrieb und firmieren ihn in „Althannoversche Spezialitätenbäckerei“ um. Sie haben 3 Söhne: Georg (1955), Klaus (1957) und Martin (1964).

1986: Klaus Borchers übernimmt gemeinsam mit seiner Frau Marion die Leitung der Bäckerei. Der jüngere Bruder Martin übernimmt die Konditorei.

2012/2013: Durch einen Anbau wird die Backstube um nahezu das Doppelte erweitert. 

2017: Philip Borchers erwirbt den Titel als Bäckermeister und steht gemeinsam mit seiner Lebenspartnerin Charlotte Hesse bereit für die nächste Nachfolge.

2022: Die Spezialitätenbäckerei Borchers besteht seit 175 Jahren.