Symposium: Mehr Vollkorn wagen
Der Verband der Getreide-, Mühlen- und Stärkewirtschaft hat nach Würzburg
Eingeladen, um sich beim 18. Wissenschaftlichen Symposium mit dem Thema „Vollkorn
im Fokus“ zu beschäftigen. Im Mittelpunkt stand die Frage, wie die Diskrepanz zwischen
klaren Gesundheitsempfehlungen und zu niedrigem Vollkornverzehr geschlossen
werden kann. Tatsächlich habe sich bereits einiges im Markt bewegt, so das Fazit. So sei der Vollkornanteil in Frühstückscerealien in den vergangenen zehn Jahren um 39 Prozent gestiegen. Die Ballaststoffaufnahme in Deutschland basiere noch immer zum großen Teil auf dem Verzehr von Brot.
Dabei hätten sich die Geschmacksvorlieben in den letzten Jahren deutlich zu helleren Gebäcken verschoben. Vollkorngebäcke aus „Weißem Weizen“ erreichen beides: Sie liefern
viele Ballaststoffe und weisen eine helle Krume auf. Auch der Roggen kann mit
Ballaststoffreichtum und Nachhaltigkeit punkten. Für eine echte Renaissance
des Roggens erfordert es aber einen Imagewechsel vom Grundnahrungsmittel
zum „Lifestylefood“. Eine vollkornreiche Ernährung wirkt nicht nur präventiv,
sondern auch therapeutisch: Aktuelle Forschungsergebnisse zeigen, dass bestimmte
Ballaststoffe eine Erhöhung des GLP1-Hormons – bekannt als Wirkstoff
der Abnehmspritze – zur Folge haben. Ein vielversprechender Ansatz für
eine personalisierte Ernährungstherapie. Die Quintessenz: Schon heute können
die Verbraucherinnen und Verbraucher aus einem breiten Angebot an Getreideprodukten
im Supermarktregal wählen, jetzt müssen sie nur noch mehr
Vollkorn wagen!
Jochen Brüggen, persönlich haftender Gesellschafter bei H & J Brüggen in
Lübeck, stellte am Vorabend des Symposiums die Entwicklung der letzten
Jahre und das große und bunte Angebot an Frühstückscerealien, Müslis und
anderen Getreideprodukten vor. So ist der Vollkornanteil in Cerealien deutlich
gestiegen und der Zuckeranteil ebenso deutlich gesunken. Seine Botschaft:
Es gibt ein sehr breites Angebot an Vollkornprodukten in den Supermarktregalen,
aus dem die Verbraucherinnen und Verbraucher wählen können
– sie können ohne langes Suchen Vollkorn wagen!
Gesundheitsvorteile unbestritten, Zufuhr dennoch mangelhaft, Mikrobiom im Blick
Fachleute sind sich einig: Vollkornprodukte spielen eine zentrale Rolle in der Präventionsmedizin. Trotz der Empfehlung der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE), mindestens ein Drittel der Getreideprodukte als Vollkorn zu konsumieren und täglich 30 Gramm Ballaststoffe aufzunehmen, zeigen Studien deutliche „Ballaststoff-Lücken“. Felix Kerlikowsky von der Leibniz Universität Hannover beleuchtet in seinem Vortrag den Paradigmenwechsel bei Ballaststoffen vom lang unterschätzten Nährstoff hin zu einem Schlüs-selbaustein für die Gesundheit. Vollkorn kann präventive Effekte auf den Glukose- und Lipidstoffwechsel ausüben, das Risiko für Tumorerkrankungen senken und die Gesamtsterblichkeit reduzieren. Er sagt: „Der ernährungsphysiologische Wert von Vollkorn ist nicht allein auf Ballaststoffe zurückzuführen. Vielmehr liefert Vollkorn eine wertvolle Synergie aus Vitaminen, Mineralstoffen und bioaktiven Substanzen, die langfristig zur Erhaltung der Gesundheit beitragen.“
Marie-Christine Simon von der Universität Bonn widmet sich der Forschung zum Darm-Mikrobiom und dem direkten Einfluss von Vollkorn auf eine gesunde Darmflora. Fest steht: Das Darm-Mikrobiom lässt sich am einfachsten und sehr wirksam über die Ernährung oder die Einnahme von Pro- und Präbiotika modifizieren. So zeigt ihre Forschung, dass durch die gezielte Einnahme von Beta-Glucan – einem Ballaststoff, der unter anderem in Hafer und Gerste vorkommt – die Bildung des Hormons GLP1 gesteigert werden konnte. GLP1 reguliert das Hungergefühl und ist als Wirkstoff der neuen „Abnehmspritze“ im Gespräch. Jedoch reagieren nicht alle Patientinnen und Patienten gleich. Simon sagt: „Ernährung hat nicht nur einen präventiven Effekt auf die Gesundheit, sondern auch einen therapeutischen. Wir müssen uns von der „one-fits-all“ Ernährungsempfehlung verabschieden.” Vielmehr werden in Zukunft KI-gestützte Vorhersage-Modelle eine passgenaue Er-nährungstherapie ermöglichen.
Herausforderungen und Akzeptanz
Bertrand Matthäus vom Max Rubner-Institut in Detmold thematisiert die fehlende Akzeptanz von Vollkorn: 85 Prozent der in Deutschland gekauften Brote werden aus hellen Typenmehlen hergestellt. Gründe hierfür sind die allgemeinen Geschmacksvorlieben, geringes Bewusstsein für die gesundheitlichen Effekte, fehlende einheitliche Definition sowie Auslobungsbeschränkungen aber auch technologische Hürden im Verarbeitungsprozess. „Vollkorn muss sexy sein. Auch um die jüngeren Zielgruppen dafür zu gewinnen. Mit dem Hinweis auf die Prävention von Zivilisationskrankheiten werden wir sie nicht begeistern.“
Matthäus stellte auch die wichtigsten Ergebnisse des Whole Grain Summit 2025 vor, auf dem globale Lösungsansätze zur Steigerung des Vollkornverzehrs diskutiert wurden. Neben der Erarbeitung einer einheitlichen Definition für Vollkorn sollen in nächster Zeit offene Fragestellungen, etwa zur Verbraucherakzeptanz, in Fachgruppen geklärt werden.
Ein vielversprechender Ansatz zur Steigerung der Akzeptanz von den zu-meist dunkleren Vollkornprodukten kommt aus der Getreideforschung: Mario Jekle von der Universität Hohenheim präsentiert „Weißen Weizen“. Weißer Weizen, der in anderen Regionen bereits erfolgreich eingesetzt wird, liefert wie der traditionell in Europa angebaute sogenannte „Rote Weizen“ wertvolle Inhaltsstoffe. Weißer Weizen bietet dabei jedoch ein milderes Aroma und eine deutlich hellere Farbe. Diese Eigenschaften können die Hemmschwelle bei Verbraucherinnen und Verbrauchern abbauen und so den Vollkornanteil im Backwarenangebot erhöhen. „Ziel ist es“, sagt Jekle, „den Verbrauchern eine gesündere Alternative zu bieten, der man nicht ansieht, dass sie „gesund“ ist und die nicht extra beworben werden muss.“
Die Wertschöpfungskette hat Lösungen für mehr Vollkorn
Jürgen Sieg von der Firma Rettenmaier & Söhne erläutert, wie zugesetzte Nahrungsfasern zur Schließung der Ballaststoff-Lücke genutzt werden können – etwa zur Anreicherung von Lebensmitteln oder zur Reduktion von Fett und Zucker. „Aber zentral bei allen Überlegungen“, sagt Sieg, „ist und bleibt die Frage: Schmeckt es? Denn ohne Geschmack keine Verbraucherakzeptanz.“
Nina Elzer vom europäischen Cerealienverband Ceereal berichtet über Initiativen der Cerealienhersteller, die durch Reformulierungen, Innovationen und branchenübergreifende Kooperationen den Vollkorn- und Ballaststoffgehalt ihrer Produkte sukzessive erhöhen und dabei über die Jahre bereits deutlich messbare Fortschritte erzielt haben. So konnte der Anteil von Vollkorn in Cerealien im Durchschnitt von 2015 bis 2023 um 39 Prozent und der Ballaststoffgehalt um 12 Prozent gesteigert werden. Für die Bewerbung des Themas Vollkorn – so mahnt sie an – braucht es geeignete rechtliche Vorgaben, die es möglich machen, auch kleinere Reduktionsschritte oder andere Rezeptveränderungen auf der Verpackung auszuloben.
Heiko Zentgraf von der GMF Vereinigung Getreide-, Markt- und Ernährungsforschung plädiert für eine Neubewertung des Roggens. Das immer mehr in Vergessenheit zu geratene Brotgetreide hat großes Potenzial: als Rohstoff für trendige Regional- und Lifestyleprodukte sowie als wichtige Ballaststoffquelle. Zudem ist es ein Eckpfeiler der deutschen Brotvielfalt. Er plädiert für einen Paradigmenwechsel, weg von der Auslobung des Roggens als „Grundnahrungsmittel“ hin zum trendigen „Lifestyle-Produkt“. Dafür bieten sowohl die unzähligen registrierten Roggengebäcke als auch neue Brot-Formen, das Bewerben der Regionalität sowie der kulinarische Blick über den Tellerrand zahlreiche Möglichkeiten.
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